Der Dritte Mann

Wir waren fünf

Autor: Viktor Mann | Rezensiert von: Franziska Sörgel

 Von außen denkt man, dass niemand dieses Buch braucht – ausgerechnet von dem einzigen Mann-Bruder, der kein Schriftsteller war, soll man etwas lesen? Dabei hat man ja vielleicht noch nicht einmal „Josef und seine Brüder“ ganz durch ( in der neuen GKFA-Ausgabe von 2018!) oder den zweiten Band von „Henri Quatre“ nicht angefangen oder noch Ärgeres versäumt.

Ich selbst habe den Band nur deswegen aufgeschlagen, weil ich mich auf ein neues Biographie-Seminar vorbereiten wollte und auf der Suche nach delikaten Personenbeschreibungen war. Wie würde der um 15 bzw. 19 Jahre jüngere Viktor wohl seine berühmten Brüder beschreiben? Ich war sehr überrascht, wie er es tat: Sehr nah, als hätten sie alle noch ihre Schlafanzüge an und doch mit einer Eleganz, die dem Buch allein schon das Prädikat empfehlenswert verleiht. Ganz kurz kam er mir verdächtig vor, dieser hochgepflegte Stil. „Hätte der schüchterne Viktor, wenig überzeugt vom eigenem Talent, sein 1948 abgefasstes Lebenszeugnis nicht rasch über den Teich zu Bruder Thomas schicken können, der dieser verschämten Bitte nach Überarbeitung sicherlich verschwiegen nachgekommen wäre?“ Ja, technisch hätte es sein können. Doch habe ich mittlerweile eine andere These. So wie manche Familien einen grünen Daumen haben, so eignet den Manns einfach eine kreative Ehrfurcht vor allem Sprachlichen. Dies ging mir auf frappierende Weise auf, als ich zu Studentenzeiten die Briefe der Familie Mann, die zahlreich und wild während der Exiljahre kursierten, im Tiefkeller des Deutschen Literaturarchivs Marbach im Original lesen durfte. Unter all den Geschwistern, Kindern, Nichten und Onkels war nicht einer, der nicht im Angesicht der Feder stramm gestanden und sein Bestes gegeben hätte – auch Erika und Klaus taten dies noch in ihrer wildesten Flachserei. Daher glaube ich, dass Viktor auch seine Analystenberichte für die Bayrische Handelsbank und seine Glückwunschkarten in diesem ruhigen und treffsicheren Esprit abgefasst hat, der uns heute wie eine rare Delikatesse erscheint.

Genug von der Schreibe. Jetzt wollen wir wissen, was er erzählt, nicht wahr? Natürlich keine Konflikte und Skandale, es war schon alles schön und beschaulich bei Mama Mann und den „Onkels“, wie er seine so viel älteren Brüder nannte, in München und später in Polling. Wie „Ommo“ und „Heini“ ihm selbstgezeichnete Kinderbücher aus Italien mitbrachten und ihn später an den Schwabinger Szenetreffs teilhaben ließen. Wie er alle ihre Bücher immer als Erster lesen durfte – besser noch: Bei den Erstlesungen dabei sein durfte – und was er von ihnen hielt. Wie herrschaftlich, fein und herzlich es später bei den „Tommys“ in der Poschinger Straße zuging und dass Katja ihren Mann immer glücklich gemacht hätte und nie anders, das sagt er auch oft. Auch, dass Heinrich und Thomas immer scherzend Schulter an Schulter gestanden hätten und das Wort Zwist nur unkundige Presseleute verwendet hätten, wird er nicht müde zu betonen. Nun, es ist seine Sicht der Dinge am Ende des Lebens, wer will da richten und zetern. „Wir alle bedürfen der Gnade“ dieses große Wort von Thomas Mann zum Zusammenbruch des tausendjährigen Reiches finden wir auch vor und neben einem virtuosen Kapitel über die Stimme Adolf Hitlers sehr intime Schilderungen der letzten Szenen vor dem Exil (Viktor kam nicht zum letzten feuchtfröhlichen Abend, er war erkältet und tat sich Leid). „Treuherzig“ nannte Thomas den Bericht des Benjamins  und aus der Perspektive seiner hohen Romankunst herab stimmen wir ihm ohne Zögern zu. Zum Glück hat Viktor aber keinen Roman geschrieben, sondern nur mit warmem Herzen aus dem Leben seiner Familie erzählt. So wie es eben ist, wenn der große Bruder nach Stockholm fährt, um den Nobelpreis entgegenzunehmen. „Schön, dass wir ein bisschen Musik dazu haben“ soll er gesagt haben, als zu Beginn der Zeremonie ein Streichquartett zu spielen begann. Ein typischer Mann-Satz und doch so unspektakulär-familiär, dass wir ihn nie erfahren hätten, wenn uns Viktor nicht davon erzählt hätte.

Was machen wir jetzt daraus?
a)     Nicht immer gleich Schlechtes denken von Büchern, die im Schatten der Goldwerke stehen und
b)    die eigene  Geschichte aufschreiben – wer weiß was für historische Szenen sich in ihr verbergen?

In diesem Sinne viel Vergnügen beim Lesen wünscht

Franziska Sörgel

 


Viktor Mann

Wir waren fünf

Bildnis der Familie Mann

Fischer, Frankfurt 2010

Taschenbuch, 528 Seiten

ISBN-10: 3596122759

13,95 €