Autor: Florian Illies | Rezensiert von: Franziska Sörgel
Warum Sie „1913“ lesen sollten? Weil alle es tun. Delikate Dönchen über Alma Mahler und Oskar Kokoschka, Bildungsbürgerschischi über Dichter und Maler und mittendrin lässt dieser Pfiffikus
von Autor Studienrat Braun mit seiner Tochter Eva im Kinderwagen durch Berlin fahren. Ganz schön raffiniert. Vor allem hat er so eine schöne Schreibe, so flüssig, so witzig, so modern. An dieser
Stelle halten wir mal an. Bei der neuen deutschen Renaissance der schönen Form:
Nach 1945 wollte man von Form nicht viel wissen in den Künsten, schon gar nicht von Uniform. Paul Celan forderte sogar, das Deutsche für die Literatur neu zu erfinden, weil es schmutzig geworden
war in den Texten und Verordnungen des Bösen. Es wurde aber nicht neu erfunden, sondern zerrissen: Zwischen Trivialliteratur, die in schlichten Worten beschrieb, was man selbst auch hätte sehen
können, wenn man Chefarzt, Cowboy oder ein reicher Graf war und den Kritikerromanen, die ruckelten, stotterten, oft von unschönen Menschen und Situationen handelten, oben Metaebenen und unten
Subtext hängen hatten und dieses nicht an normalen Wörtern, sondern an Metaphern und Ellipsen.
Ähnliches geschah im Übrigen in der Musik. Beide Richtungen wurden immer unmöglicher. Weder das möglicherweise Schlaue noch das offensichtlich Seichte fand noch Mehrheiten. Zufällig in der Ende
der 80er Jahre, als die Ersten „68er“ ihr Häuschen abbezahlt hatten, ließen sie sich erschöpft in den Sessel sinken, um sich von den Frontkämpfen mit dem Schwert des Geistes auszuruhen und „sich
mal was zu gönnen“. In diese Lücke sprangen zum Beispiel Hera Lind und Elke Heidenreich mit einer Art frisch gebackener deutscher Volkslektüre: Ausgerollte Trivialliteratur im
Bildungsbürgermilieu mit entsprechenden Diskurssplittern. Die versöhnende Mitte also. Zu ihr gehörte im Jahr 2000 auch „Generation Golf“, der erste Erfolgsroman von Florian Illies. Darin konnte
man seine eigene Jugend nachlesen, musste allerdings 8,95 € dafür zahlen. Und jetzt kann man in „1913“ das eigene Geschichtsbuch nochmal nachlesen und muss 19,99 € dafür zahlen. Das macht pro
Monat 1,66 €; eigentlich recht günstig. Anstrengend ist es auch nicht, denn eine Anekdote reiht sich an die andere, anstrengende, vielleicht ungewohnte, Auslegungen erspart uns der Autor. Flink
und lässig verspachtelt, sortiert er die Biografien von Freud, Jung und Kaiser Wilhelm um – nicht nach ihren Namen, sondern nach Monaten. Könnte auch eine Copy-und-paste-Übung in der
Volkshochschule gewesen sein. Könnte überhaupt auch ein Praktikant gemacht haben, könnten Sie selbst bestimmt auch. Ein Historiker war dazu jedenfalls nicht nötig. Illies selbst ist übrigens auch
kein Historiker, sondern Journalist. Macht ja nichts, als solcher kann er jedenfalls wirklich schön und flott schreiben und präsentiert eben stets Altbekanntes in einer schönen modernen Form. Und
genau dieses passiert in Deutschland derzeit auf allen Kanälen, die auch „1913“ durchfunken: Alles wird wieder schick, die Wandervogelbewegung –jetzt mit GPS, die Volkslieder – jetzt über Wii.
Vom Oktoberfest über Dosenwurst („Dein Schwein schaut Dich an!“) bis zum Revival der Nähstube mit Zackenband und Karobluse (Tchibo-Katalog Herbst 2013). Wir nannten es oben „neue deutsche
Renaissance der schönen Form“. Was ich nur noch einmal wiederholen möchte: Es geht um die Form. Punkt.
Viel Spaß beim Lesen!
Florian Illies
1913
Der Sommer des Jahrhunderts
S. Fischer, Frankfurt, 2012
ISBN 978-3-10-036801-0
19,99 €